Wir Unternehmer müssen Verantwortung übernehmen
Haben Sie Angst um unsere Demokratie?
Laut ZDF-Politbarometer nehmen 76 Prozent der Bürgerinnen und Bürger eine sehr große oder große Bedrohung von rechts wahr. Gleichzeitig gibt es je nach Region in Deutschland zwischen 15 und 25 Prozent AfD-Wähler.
Auch in meinem engsten privaten Umfeld treten mittlerweile einige „Freunde“ unverhohlen mit ihren rechten Parolen auf, sie genieren sich nicht mehr ihre kruden Thesen auch öffentlich zu vertreten. Sie zweifeln an der Demokratie.
Was haben Ungarns Victor Orban, Polens Jarosław Kaczyński, Tschechiens Andrej Babiš, Slowakeis Peter Pellegrini, Rumäniens Viorica Dancila, Österreichs Heinz Christian Strache, Italiens Matteo Salvini, (um nur einige zu nennen) und AfD-Wähler gemeinsam?
Sie sind erstens Politiker in einem Land mit (noch) demokratischem Gesellschaftssystem und zweitens in diesen Demokratien als nationalpopulistische Politiker an der Macht.
Dazu kommen starke nationalistische und durchaus rassistische Bewegungen in Frankreich, Deutschland, Spanien, den skandinavischen Ländern und auf dem Balkan. Was alle eint: Die Verachtung der Demokratie und deren in der Verfassung geschützten Rechte auch für Minderheiten und die Pressefreiheit.
Ein weiteres Merkmal dieser nationalpopulistischen Parteien und Bewegungen ist der Versuch, die Gewaltenteilung im Staat aufzuheben. Gewaltenteilung im demokratischen Sinne bedeutet die Teilung von Macht auf drei Säulen: die Legislative (gesetzgebende Gewalt), die Exekutive (ausführende Gewalt) und die Judikative (rechtsprechende Gewalt).
Wer dieses Prinzip in Frage stellt, der stellt sich einer freiheitlich demokratischen Grundordnung klar entgegen. In Ländern wie Polen, Rumänien oder Ungarn ist die Unabhängigkeit der Judikative mittlerweile so stark eingeschränkt, dass von einer unabhängigen Justiz nicht mehr zu reden ist.
In Italien beschimpft der Innenminister die Staatsanwälte und Juristen als „rote Roben“ und stilisiert sich im Kontext seines Umgangs mit den Flüchtlingen des Schiffs „Diciaotto“ zum Opfer einer Medienkampagne.
Das gleiche Muster erleben wir derzeit in der größten und ältesten Demokratie. Donald Trump spricht von einer „Hexenjagd“ der Medien, wenn diese seine Lügen aufdecken und diffamiert die Vertreter der Judikative offen als Feinde des Volkes. Besorgniserregend ist sowohl bei Salvini als auch Trump, dass deren Anhänger nicht durch das fragwürdige Verhalten abschreckt werden, sondern bei beiden die Zustimmung um so mehr steigt, je mehr sie auf Presse und Gerichte einprügeln.
Was wir Ende des letzten Jahrhunderts, in dem Diktaturen in weiten Teilen Europas gewütet hatten, nicht mehr für möglich hielten, ist nun eine ernsthafte Bedrohung für unsere demokratischen Gesellschaften weltweit geworden – auch für Deutschland!
Eines muss man den Nationalpopulisten lassen: sie zeigen, wie die alten Muster der Nationalsozialisten (das Fremde ist die Bedrohung) auch Jahrzehnte später in unserer angeblich so aufgeklärten Gesellschaft dieselbe Wirkung erzielen: Neid und offener Rassismus.
Immer wieder wird in Befragungen ein hohes subjektives Bedrohungspotential benannt, das derzeit stark mit der hohen Zahl an Flüchtlingen assoziiert wird. Nur ist das nicht belegbar. Laut Kriminalitätsstatistik des Bundesinnenministeriums fiel die Zahl der registrierten Straftaten in Deutschland 2017 auf den niedrigsten Stand seit 1992. Allein im Jahr 2017 gab es fast zehn Prozent weniger Straftaten. Zudem konnte eine Reduzierung der Verdächtigen unter Zuwanderern um 22 Prozent festgestellt werden. Weitere Studien legen nahe, dass irakische und syrische Flüchtlinge in Deutschland eher seltener straffällig werden, da sie ihren Antrag auf Asyl nicht gefährden wollen.
Ja, leider gibt es von Diebstahl bis zum Mord auch unter Migranten vielerlei Straftaten. Und der Rechtsstaat muss sich hier durchaus manchmal die Frage stellen, ob alles getan wurde, um solche Taten zu vermeiden – siehe Amri, dem Weihnachtsmarktattentäter.
Das Beispiel Chemnitz zeigt aber auf widerwärtige Weise, wie ein Mord durch Migranten von rechten Demagogen, die ja genau diesen Rechtsstaat abschaffen wollen, instrumentalisiert wird. Ihre Argumentation zielt darauf ab, auch diesen Mord als Beweis des Versagens des Rechtsstaats darzustellen.
Würden die rechten Hetzer auch so argumentieren, wenn zwei Deutsche einen Ausländer umgebracht hätten? Wohl kaum.
Statt irrationalen Ängsten vieler Bürger durch gezielte Aufklärung und vernünftige Politik (auch und gerade durch gerechte Sozialpolitik) entgegen zu treten, greifen Politiker auch der bürgerlichen Parteien in letzter Zeit diese Ängste auf und versuchen im Stil rechtsnationaler Polemiker auf dieser Welle mit zu surfen (um, wie einige sagen, „den Wähler ernst zu nehmen“).
Anlehnend daran betrachte man die Aussagen des damaligen Ministerpräsidenten Seehofer in der Flüchtlingskrise. Nach einer Sondersitzung des bayerischen Kabinetts im September 2015 zur Einführung vorübergehender Grenzkontrollen sagte er: „Das ist im Grunde eine Kapitulation des Rechtsstaats.“ oder „Wir haben im Moment keinen Zustand von Recht und Ordnung. Es ist eine Herrschaft des Unrechts.“ 02.02.2016)
Solche Sprüche waren und sind Wasser auf den Mühlen der rechten Demagogen.
Der Mord in Chemnitz ist furchtbar und nicht entschuldbar. Aber was hat uns die massive Teilnahme an den rechten Veranstaltungen in Chemnitz gezeigt? Dass wir alle, Journalisten, Politiker und ja, auch wir Unternehmer und Aktiven in der Wirtschaft, die Sorgen und vor allem Ängste vieler Bürger unterschätzt haben, dass wir die Bürger wieder da abholen müssen, wo diese Ängste herrühren: ihrem subjektiven Empfinden. Wir alle müssen den Dialog mit den „Demokratiemüden“ suchen, wir müssen die fadenscheinigen auf Neid und Hass basierenden (Schein-)Argumentationen der Populisten als „Fake News“ entlarven. Denn die Saat der rechten Demagogen geht mehr und mehr auf.
Ernst nehmen heißt auch, eine nachvollziehbare Sozialpolitik für die Menschen zu machen, die sich von der Gesellschaft vergessen und verraten fühlen. Das beginnt bei der Rentenfrage, betrifft die Pflegesituation und geht bis hin zum politischen Umgang mit den steigenden Mieten in den Ballungsräumen. Wie wäre es denn als Unternehmer auch mal wieder das Grundmodell der „sozialen Marktwirtschaft“ zu diskutieren?
Es geht auch darum, den Bürgern wieder das Gefühl zu vermitteln, dass die Politiker keine professionelle, abgehobene Politkaste geworden ist, die mit den realen Lebensumständen kaum noch in Berührung kommen. Wer Jahrzehnte seines Lebens in der Politik auf Länder- oder Bundesebene unterwegs ist, hat den Bezug zu realen Lebensumständen verloren.
Eines ist auch nicht mehr zu übersehen: die sozialen Risse in unserer Gesellschaft sind in den letzten Jahren immer größer geworden. Wir alle haben passiv zugesehen und sind mitverantwortlich für den kritischen Zustand unserer Demokratie.
Demokratie und Rechtsstaat sind über 70 Jahre auch ein Garant für den steigenden Wohlstand und den Erfolg der deutschen Bürger, aber eben auch der Unternehmer gewesen.
Deshalb sind wir alle aufgerufen die Demokratie und unseren Rechtsstaat gegenüber den rechten Demagogen, Identitären und sonstigen Verächtern einer freiheitlichen demokratischen Gesellschaft entschieden zu verteidigen.
Überlassen wir den rechten Hetzern und Feinden der Demokratie nicht das Feld, gehen wir auf diese zu und diskutieren wir mit ihnen – auch wenn es Überwindung kostet.