Im Dezember hat meine Kollegin Eva Werner an dieser Stelle über Krisenkommunikation als Vorbereitung auf die drohende Rezession geschrieben. Wer hätte damals gedacht, dass sich innerhalb eines Quartals die Situation so rasant ändern wird. Statt schleichend in die Krise zu schlittern, sind wir hineingerauscht.
Die VUCA-Welt ist über Nacht Realität geworden. Tägliche Sondersendungen zur Corona-Krise mit entsprechenden Fallzahlen und unglaublichen Summen für die nächste staatliche Hilfe gehören zur Tagesordnung.
Die heimische Küche ist für viele zur Cafeteria/Kantine geworden, in der wir virtuelle Kaffeepausen abhalten, das Wohn- oder Schlafzimmer zum Homeoffice, in dem wir u.a. Teammeetings abhalten oder Mitarbeitergespräche führen, Familienfeiern finden per Zoom-Call statt, einkaufen gehen wir mit Maske, selber kochen statt essen gehen steht auf dem Programm und statt Live Musik in der Bar beteiligen wir uns an Watch Parties auf Facebook oder sonstigen Social Media Kanälen.
Nach Monaten der Corona-Krise ist es nun an der Zeit mal inne zu halten und zu schauen, was diese Situation mit uns und unseren Unternehmen gemacht hat und welche Wirkung das alles auf uns als Führungskräfte, Mitarbeiter und Privatpersonen hat, insbesondere im Kontext der Lockerungen, die in den letzten Wochen beschlossen wurden.
Als Führungskraft oder Wissensarbeiter sind viele von uns seit Wochen ins Home Office verbannt, wo wir versuchen die Balance zwischen Partnerschaft, Kinderbetreuung, Home Schooling, Haushalt und Arbeit hinzubekommen oder aber als Single mit der Einschränkung der Sozialkontakte umzugehen. Aber da wir ja nicht alle Wissensarbeiter sind, sondern Wertschöpfung in Fertigung und Logistik, Pflege und im Handel physisch erfolgt, ist es auch an der Zeit darauf zu schauen, wie wir mit den Kolleginnen und Kollegen umgehen, die jeden Tag an der Front stehen und häufig in neuen Team-Zusammensetzungen und neuen Schichten asynchron arbeiten müssen, die sich einerseits mit geringerem Auftragseingang und gleichzeitiger Verknappung der Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe und Komponenten auseinander setzen müssen und wie wir eine gute Zusammenarbeit zwischen diesen beiden Welten ermöglichen.
Um dies zu verdeutlichen, möchte ich Sie mit auf eine virtuelle Reise zu einem schwäbischen Mittelständler nehmen.
Während im März der Auftragseingang noch sehr gut war, sind die Aufträge im April um 80% eingebrochen. Über die Osterfeiertage war der Betrieb geschlossen und es wurden Überstunden und Urlaub abgebaut. Nun steht die Kurzarbeit an. Zwischen unterschiedlichen Bereichen gibt es Schleusen, wer irgendwie kann, arbeitet nun aus dem Home Office. Aber trotz allem müssen die Geräte gefertigt und gewartet werden. Vor der Krise haben wir an einem Projekt zur Steigerung der Liefertreue gearbeitet und tolle Fortschritte gemacht. Dazu haben wir neue Kommunikationsstrukturen geschaffen, die aber typisch „Lean“ ein physisches Zusammentreffen der unterschiedlichen Bereiche erfordert. Und nun wurden diese Treffen praktisch über Nacht unmöglich und viele Rituale und Routinen sind weggefallen.
Zunächst hat sich jeder in sein „Schneckenhaus“ zurückgezogen und viele Mitarbeiter/Innen sind in den Krisenmodus gegangen. Nachdem nun aber klar wurde, dass wir es nicht nur mit einer kurzfristigen Unterbrechung des regulären Geschäftsbetriebs zu tun haben, sondern dass wir Lösungen für das „New Normal“ brauchen, entstand die Idee, die Kommunikations-strukturen und -prozesse so zu virtualisieren, dass verteiltes Arbeiten (sowohl physisch als auch zeitlich möglich ist) und zwar nicht nur zwischen den typischen White Collar Funktionen, sondern eben auch in den Schnittstellen zum Blue Collar Bereich.
Zum Glück hat dieses Unternehmen wie so viele andere schon vor längerer Zeit Office 365 eingeführt und damit die Grundlagen für die Nutzung von MS Teams geschaffen. Während wir im Privatleben schon viel weiter mit der Nutzung von Video-Telefonie, Chats und diversen Aufgaben-Apps sind (z.B. Bring für die Einkäufe im Supermarkt, Wunderlist für Aufgaben etc.) haben wir uns im Geschäftsleben oft schwer damit getan. Insofern wirkt Corona hier wie ein massiver Verstärker für die Digitalisierung, wie auch Jared Spataro, Microsofts Vize, zu den Entwicklungen sagt:
„Covid-19 hat das Leben der Menschen auf der ganzen Welt maßgeblich verändert. Wir glauben, dass es ein Wendepunkt für die Art sein wird, wie Menschen arbeiten und lernen. Unsere Kunden wenden sich in dieser herausfordernden Zeit Teams zu und wir sehen besonders in Märkten starke Nutzungsanstiege, die stark von Covid-19 betroffen sind.“
Microsoft Teams ist binnen kurzer Zeit so gefragt geworden, dass die Software zwischen-zeitlich sogar die Spitze der App Charts eingenommen hat. In nur einer Woche stieg die Nutzerzahl um über 12 Millionen auf insgesamt 44 Millionen User weltweit. Der überstürzte Roll-Out in vielen Unternehmen, insbesondere im Rahmen der Corona-Pandemie, führte oft zu Frustration bei Mitarbeitern und der Tatsache, dass MSTeams in erster Linie als Video-Conferencing und Chat-App eingesetzt wird, die tatsächlichen Möglichkeiten aber nicht ausgeschöpft werden.
In einem virtuellen Workshop haben wir die Rahmenbedingungen definiert, dass jeder Mitarbeiter asynchron arbeiten kann und der Kunde trotzdem weiterhin im Mittelpunkt des Handelns steht. Und so konnte dann innerhalb von kurzer Zeit ein Geschäftsprozess erarbeitet werden, mit dem die Rückstände/offenen Aufträge schnell abgearbeitet werden können.
Viel wichtiger als die technische Umsetzung war dabei die Erkenntnis der Beteiligten, dass man gar keine IT für die Umsetzung braucht, sondern den Schlüssel zur Lösung selbst in der Hand hält und nun ganz agil in die Pilotierung starten kann. Neben der Problemösung hat diese Vorgehensweise auch dazu geführt, dass die Wertschätzung der Kolleginnen und Kollegen aus Fertigung und Logistik in den Mittelpunkt gerückt wurde, denn dadurch verschwand das „wir“ vs. „ihr“ also on-premise und off-premise, da über die virtuelle Plattform wieder alle auf eine Ebene kamen.
Vielleicht geht es Ihnen in Ihrem Unternehmen ja ähnlich. Nutzen Sie die Gelegenheit für eine Retrospektive und schauen Sie doch mal drauf, was in den letzten Wochen gut lief, was schlecht lief, was Sie lernen können, um Ihr Unternehmen zukunftsfähig zu machen und wie Sie den „Gap“ zwischen White Collar und Blue Collar Workers wieder minimieren können.
Darüber hinaus stehen Sie nun ja sicher auch vor der Herausforderung, wie Sie mit den Lockerungen umgehen. Die Kinder gehen vermutlich zumindest in Teilzeit wieder in die Schule, Hotels und Gastronomie öffnen langsam wieder und Sie und Ihr Team dürfen auch wieder ins Büro.
Es stellen sich nun aber viele organisatorische Fragen und Aufgaben! Wie z.B. kann man in Coronazeiten den Vertrieb organisieren, also wie können die Kundenkontakte unter den Social-Distancing-Regeln live abgewickelt werden? Sie sind als Führungskraft nun auch für die Einhaltung des Hygienekonzepts verantwortlich und sollten selbst als Vorbild voran gehen, aber auch Ihr Team auf die Einhaltung der neuen Vorschriften hinweisen. Was müssen Sie in dem Kontext selbst neu denken und organisieren? Wie ist die Mischung zwischen Video- und Live-Meetings in Zukunft zu gestalten? Was ist zu tun, um die teilweise emotionale Entfremdung innerhalb des Teams durch den langen Zeitraum räumlicher Trennung zu kompensieren?
Und genau hier zeigt sich, es geht nicht darum, zurück zum Status VOR Corona, sondern es geht darum, einen neuen Umgang miteinander zu finden und das nicht nur aufgrund der Hygienevorschriften. Nach Wochen der Isolation und Selbstverantwortung im Home Office sollen wir nun wieder verstärkt an die Arbeitsplätze zurückkehren. Hier bedarf es wieder der teilweisen Neudefinition von Spielregeln!
Hinterfragen Sie auch sich selbst als Führungskraft. Was hat diese Krise mit mir gemacht? Was ist mir wichtig geworden? Und was ist eigentlich mit meinem Wertesystem passiert? Haben sich hier Veränderungen ergeben? Und wie wirken sich diese auf mein Handeln aus?
Welches Verhalten möchte ich beibehalten? Wo möchte ich mich verändern? Wie viel Freiheit und Selbstverantwortung kann ich meinem Team dauerhaft übertragen? Wie will ich mein Kommunikationsverhalten anpassen? Wie gehe ich weiterhin mit der Doppelbelastung einiger Teammitglieder um? Zeigen Sie Ihrem Team Ihre Wertschätzung mit einer kleinen Aufmerksamkeit zurück im Büro. Das muss nichts Großes sein, aber eine Blume auf dem Schreibtisch oder ein „Welcome Back“ Post-It auf dem Bildschirm zaubern sicher ein Lächeln ins Gesicht Ihrer Mitarbeitenden und Kollegen.
Nutzen Sie aber auch die Retrospektive dazu, gemeinsam mit Ihrem Team zu überlegen, wie es denn nun weitergehen soll. Welche Lebens- und Arbeitsbereiche konnten nicht digitalisiert werden und auf Distanz abgebildet werden? Was haben wir vermisst?
Denn neben den Staatshilfen, die Ihnen helfen das Überleben Ihres Unternehmens zu sichern, gibt es ein unglaubliches Potenzial, das in Ihren Mitarbeitern schlummert und nun geweckt werden will. In der aktuellen Situation ist die „Schwarmintelligenz“ gefragt und natürlich auch Flexibilität von Ihnen als Führungskraft. Schaffen Sie Räume für Ihre Teams und schauen Sie mal, was passiert! Sie werden überrascht sein, was mit ganz kleinen Mitteln möglich ist. Wie schon das alte Sprichwort sagt: Not macht erfinderisch!
Gerade jetzt geht es nicht um das nächste Effizienzprogramm, sondern darum Dinge fundamental anders zu machen. Und dazu braucht es Ihre Führungsstärke.
Oder wie Peter Drucker schon gesagt hat:
“Management is doing things right; leadership is doing the right things.”
― Peter Drucker, Essential Drucker
In diesem Sinne: Tun Sie das Richtige und bleiben Sie gesund!