Denn Wertschätzung kommt vor Wertschöpfung!

Der VW-Skandal und das dabei zutage getretene Führungsverhalten von Martin Winterkorn zeigte beispielhaft, was eine einseitige Führungskultur bewirken kann. Viele sprachen bei Winterkorn von einer Mischung aus patriarchalischem und charismatischem Führungsstil. Bei Volkswagen hat der strenge, laut Insidern sogar „diktatorische Führungsstil“ Winterkorns jedoch bei Managern und engen Mitarbeitern zu einem vorauseilenden Gehorsam geführt. Damit war ein Fehlverhalten vorprogrammiert, das den Konzern Milliarden kostet.

Die operativ für die Fahrzeugentwicklung verantwortlichen Führungskräfte haben im wahrsten Sinne des Wortes keine Mittel gescheut, um den Ansprüchen und Anforderungen Winterkorns gerecht zu werden – bis hin zum Einsatz einer illegalen Software. Winterkorn hatte trotz seines harten Umgangs mit seinen Führungskräften aber auch viele Bewunderer und Nachahmer im Management, denn der Erfolg schien ihm Recht zu geben. Der „Spiegel“ schrieb einmal zum internen Klima, „Volkswagen sei wie Nordkorea, nur ohne Lager!“.

Uwe Renald Müller hat in seinem Buch „Machtwechsel im Management – Drama und Chance“ (Haufe Verlagsgruppe, 1997) beschrieben, wie hierarchisches und machtorientiertes Denken eine offene, motivierte und lernorientierte Unternehmenskultur verhindert.

Derzeit diskutiert man in vielen Unternehmen wieder darüber, was der „beste“, sprich effizienteste Führungsstil ist. Grundsätzlich hat der Psychologe Kurt Lewin (1890-1947) aus seinen IOWA-Studien geschlossen, dass jede Führung besser ist als keine, um Leistung und Motivation zu erzeugen. 
Die Erfahrungen mit autonomen Teams ohne Führung in den 1980er und 1990er Jahren haben ebenfalls gezeigt, dass solche „führungslosen“ Teams zu viel Aufwand in Entscheidungsprozesse mit ungewissem Ausgang investieren mussten und somit oftmals die gewünschte Effizienz ausblieb.

Heutzutage gelten zumindest in unserem westlichen Kulturkreis nur noch der kooperative oder auch demokratische sowie der situative Führungsstil als zeitgemäß. In Zeiten der globalen Unternehmen mit kulturell sehr unterschiedlich geprägter Belegschaft ist situative Führung sicherlich ein sinnvoller Weg, um diesen Anforderungen führungstechnisch gerecht zu werden. Während sich bis heute in vielen Unternehmen ein Mitarbeiter über fachliche Leistungen zur Führungskraft qualifiziert, werden sich in Zukunft die besten Führungskräfte in erster Linie durch hervorragendes Beziehungsmanagement auszeichnen. Denn die Globalisierung und die mit ihr einhergehende notwendige interkulturelle Kompetenz sowie die für den wirtschaftlichen Erfolg immer wichtigere Kundenorientierung setzen voraus, dass eine Führungskraft beziehungsfähig ist und auch integrativ wirkt.

Letztlich ist deshalb der mittlerweile alles umspannende Führungsstil für den unternehmerischen Erfolg – gerade auch in einer globalisierten Wirtschaft – unter dem Begriff „wertschätzende Führung“ zu definieren. 
In Bayern gibt es das Sprichwort: „Ned g´schimpft is g´lobt gnua!“ („Nicht geschimpft ist genug gelobt!“). Leider sind noch immer viele Unternehmenskulturen von diesem Motto geprägt. 
Dass bei der Führungsleistung in deutschen Unternehmen Einiges im Argen liegt, zeigt auch seit Jahren der Gallup Engagement Index. Regelmäßig veranschaulicht die Befragung, dass circa 15% der Belegschaft innerlich schon gekündigt hat und weitere 70% der befragten Arbeitnehmer wenig bis keine Bindung mehr zum Arbeitgeber haben. Ein häufig genannter Grund für die Frustration unter den Mitarbeitern ist, dass sie seitens ihrer Führungskräfte kaum „Wertschätzung“ erfahren. Diese durch Führungskräfte verursachte Demotivation kostet in deutschen Unternehmen jährlich geschätzte 100 Milliarden Euro.

Daher lohnt es, sich über das Thema „wertschätzende Führung“ Gedanken zu machen. Aber was ist darunter genau zu verstehen?
 Im Duden finden sich hierzu Begriffe wie Achtung, Anerkennung, Bewunderung, Ehrfurcht, Hochachtung, Hochschätzung, Liebe, Respekt und Verehrung. Daraus ergibt sich schon ein wesentlicher Hinweis: Wertschätzung drückt sich vor allem im menschlichen Verhalten aus. Der amerikanische Schriftsteller und Literaturnobelpreisträger Isaac Bashevis Singer (1904-1991) schrieb: „Was jemand denkt, merkt man weniger an seinen Ansichten als an seinem Verhalten!“.

In der Psychologie spricht man von positiver Wertschätzung, wenn jemand sein Gegenüber als eine eigenständige Person wahrnimmt und sich ihr bzw. ihm gegenüber um eine uneingeschränkte Akzeptanz bemüht. Das bedeutet, „wertschätzende Führung“ ist durch einen emphatischen, offenen, transparenten, anerkennenden und vor allem respektvollen Umgang gekennzeichnet.

Zusätzlich gehören Überzeugungskraft und Begeisterungsfähigkeit zu den Merkmalen wertschätzender Führung. 
Denn wer seine Mitarbeiter auf diese Weise motiviert, muss keinen Druck ausüben, um Topleistungen abzurufen. In verschiedenen Studien wurde nachgewiesen, dass sich Wertschätzung auch positiv auf die Zufriedenheit und Motivation von Mitarbeitern und damit auch auf die Produktivität auswirkt. Und Produktivität bestimmt die Wertschöpfung! Wertschätzende Führung setzt soziale Kompetenz bei den Führungskräften voraus. Soziale Führungskompetenz kann aber logischerweise nur in einer konstruktiven, wertschätzenden und vertrauensbasierten Unternehmenskultur wirkungsvoll umgesetzt werden.

Letztlich ist „wertschätzende Führung“ zwar auch individuell im Unternehmen lebbar, allerdings wird die beste Wirkung im Sinne von Wertschöpfung nur dann erreicht, wenn die Unternehmensleitung dies vorlebt und einfordert. Und natürlich müssen zusätzliche betriebliche Maßnahmen z. B. bezüglich Leistungsdruck und „Dauererreichbarkeit“ ergriffen werden, um den Führungsansatz zur Geltung zu bringen.

Fazit:
Wertschätzende Führung ist primär eine persönliche Einstellung, die sich im Führungsverhalten manifestiert. Richtige Kommunikation, Lob, konstruktive Kritik und die Delegation gut definierter Ziele ist lernbar. Die Aufgabe von Unternehmensleitungen besteht darin, eine „Unternehmenskultur der Wertschätzung“ zu implementieren. Dazu müssen die eigenen Führungskräfte ebenfalls mit „fürsorglicher Wertschätzung“ durch Trainings und Coachings bei der Umsetzung eines „wertschätzenden Führungsstils“ unterstützt werden.
Wertschätzende Führung ist ein Erfolgsfaktor für den unternehmerischen Erfolg.