Über vier Wochen haben sie verhandelt – unsere „Spitzenpolitiker“ in Berlin.
Was heißt verhandelt, die beteiligten Politiker zogen alle Register im Beleidigen und Abkanzeln des „Verhandlungspartners“.
Alexander Dobrindt äußerte z. B. in Richtung Grüne: „Wenn man Schwachsinnstermine abräumt, dann ist das ja noch kein Kompromiss!“ Dass unter solchen Verbalattacken nicht eine vertrauensvolle, partnerschaftliche Atmosphäre entstehen kann, weiß jeder in der Wirtschaft, der Verhandlungserfahrung hat.
Ich hatte manchmal das Gefühl, dass die Damen und Herren der vier Parteien ansatzlos nach der Wahl wieder auf Wahlkampf geschaltet haben. Konsequenterweise lautet das Ergebnis: es gibt kein Ergebnis!
Da wurde geredet und geredet und wieder einmal wurde auf den letzten Metern bis zum Morgengrauen verhandelt. Ist so ein Verhalten gegenüber uns Bürgern verantwortungsvoll? Nein.
Wie wir aus der Wirtschaft wissen, brauchen komplexe Verhandlungsthemen fitte und ausgeschlafene Menschen. Unsere Politiker sahen in den Nachrichten nach diesen nächtlichen Verhandlungsmarathons jedoch nachvollziehbar übermüdet aus. Die Botschaft an das Volk war wohl: „Seht her, wie wir kämpfen.“
Was für ein Blödsinn – als ob man eine solch verantwortungsvolle Verhandlung wie die einer zukünftigen Ausrichtung der Regierungspolitik der fünftgrößten Wirtschaftsmacht der Welt nach vierwöchiger ergebnisloser Dauerverhandlung in den letzten 15 Stunden übermüdet zu einem Ende bringen müsste.
Nach dem Scheitern der Verhandlungen geht das Spiel leider weiter. Die FDP moniert, aus ihrer Sicht habe kein einziges partielles Verhandlungsergebnis ihren Qualitätsansprüchen genügt und sie habe deshalb die Verhandlungen verlassen. Da stellt sich für mich die Frage, wo denn die Teilnehmer der FDP in den letzten vier Wochen waren, und weshalb sie das erst in letzter Sekunde feststellten.
Auffällig war, wie die Fronten bei Themen wie Umweltschutz, Migration usw. zwischen den Parteien so verhärtet blieben, dass auch nach Wochen keine Kompromisse möglich waren. Aber Verhandlungen sind nur dann erfolgreich, wenn die Parteien kompromissfähig sind. Nach Vorbild des Harvard-Verhandlungsprinzips kann nur die Win-Win-Strategie zu nachhaltigen Verhandlungsergebnissen führen.
Alle Parteien sprachen dabei auch immer davon, wie sehr sie sich Ihren Wählern verpflichtet fühlen. Aber war das Votum der letzten Wahl nicht eines, in dem die Bürger eine Regierung der breiten gesellschaftlichen Mehrheit forderten? Sprachen sich in den meisten Umfragen nach der Wahl die Bürger nicht immer wieder ausdrücklich für eine Jamaika-Koalition aus?
Bei allem Verständnis für Parteipolitik und Parteienproporz – in dieser Koalitionsverhandlung haben sich die Politiker aller Parteien (natürlich auch die der SPD) nicht im Sinne des Gesamtwohls unserer Gesellschaft verantwortlich gezeigt.
Denn verantwortungsvolle Politiker sind in solchen Momenten in der Lage, tragfähige Kompromisse zum Wohl des Landes und seiner Bürger zu erarbeiten.
Die FDP hat gezeigt, wie ihr Parteiwohl über das gesamtgesellschaftliche Interesse gestellt wird. Sie hat damit die Verantwortung verweigert. Nun ist die SPD wieder das Zünglein an der Waage und kann beweisen, dass sie sich als Volkspartei auch in einer schwierigen Situation der Verantwortung stellt. Deutschland hat in der internationalen Politik eine zu bedeutende Rolle, als dass kleinliches Parteiengezänk die größte Volkswirtschaft Europas längerfristig lähmen darf.
Neuwahlen wären in diesem Kontext ein Armutszeugnis – für Deutschland und vor allem auch für unsere Politiker.